Theorie

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Interdisziplinäres Arbeiten von Prof. Anja Vormann
Schnittstelle musik.bild.bewegung von Prof. Christian Geiger
Kollaborationen von Henrike Kollmar
Kooperationen von Prof. Anja Vormann
Zeit der Bilder von Stefan Schwarz
Transforming Silence von Stv. Prof. Gunnar Friel



Interdisziplinäres Arbeiten
Prof. Anja Vormann

Allen Projekten ist gemeinsam, dass sie kooperativ, interdisziplinär — gestalterisch und zugleich technisch — ausgerichtet sind. Der Begriff der Transformation spielt in allen Projekten eine zentrale Rolle. Technische Transformationen verschalten Werkzeuge unterschiedlicher Kontexte und entwickeln neue Formen der Darstellung. Über den Erfahrungstransfer auf der kommunikativen Ebene entwickelt sich — im Prozess einer wechselseitigen Übersetzung — eine Offenheit gegenüber fremden Perspektiven und Ansichten. In prozessorientierten Arbeitsstrukturen können vom Entwurf bis zur Realisation Kontexte, Ziele und Methoden miteinander abgeglichen und verschaltet und damit Emergenzen geschaffen und Neues entwickelt werden. Interdisziplinäres Arbeiten wird zunehmend als neue Qualität der Lehre entdeckt und ist auch notwendig in der Ausbildung des Fachs der audiovisuellen Medien.

Das Fach Video/Film hat an Designhochschulen über die Digitalisierung eine starke Wandlung erfahren. Noch vor einer Generation wurden Filme und Videos vorwiegend für Fernsehen, Kino und Festivals produziert. Unabhängig von dem Format war der Rezipient immer passiv. Bildinhalte wurden real gefilmt, im Studio inszeniert oder über verschiedene handwerkliche Techniken erstellt und animiert. Heute werden Formate wie Spielfilm, Dokumentarfilm, Experimentalfilm, etc. ernstzunehmend nur an Filmhochschulen gelehrt. Hier werden die notwendigen Kompetenzen über ein differenziertes Lehrangebot vermittelt. Kaum eine Designhochschulen ist in diesem Feld konkurrenzfähig.

Andererseits hat das Fach der audiovisuellen Medien an den Designhochschulen aufgrund der zunehmenden Digitalisierung an Relevanz gewonnen. Digitale Schnittstellen und Transformationen ermöglichen eine Verschaltung aller Disziplinen des Designs. Heute lässt sich jedes Material animieren, ob Grafik, Text, Zeichen, Fotografie, 3D-Objekt, etc. Die Videoaufnahme ist nicht mehr allein auf eine professionelle Kamera angewiesen, gute Qualität liefern nahezu alle mobilen Geräte, wie Fotokameras, Handys, iPads — zudem lässt sich aus jeder Datei oder Information auch ein bewegtes Bild generieren. Die Information ist flüssig und wandelbar, sie passiert jeden Kontext und schlägt eine Brücke zwischen den Disziplinen.

Audiovisuelle Medien sind Teil eines sich ständig wandelnden technischen Gefüges aus Datenübertragung, Apparaten und Medienformaten, darüber entwickeln sich neue Qualitäten des Mediums, die für die Lehre des Fachs an Bedeutung gewinnen. Attribute wie «mobil, interaktiv, räumlich erfahrbar, individuell manipulierbar, etc.» sind heute auch den audiovisuellen Medien zuzuschreiben. Video kann Text sein, Videomagazin, videobasierte Website, Teil einer App, eines Theaterstücks, einer Navigation. Video ist Satellitenbild, Orientierungshilfe in Operationen, Teil eines interaktiven Lernprogramms oder Simulationsmedium virtueller Welten.

Über die mediale Verbreitung und die diversen Formen der Präsenz stellen sich neue Aufgaben für die Lehre des bewegten Bildes. Im mobilen Mediengebrauch ist der Raum der Rezeption offener und unberechenbarer als der des Kinos oder Fernsehens. Das Medienprodukt steht, gewollt oder nicht, immer im Dialog mit dem realen Umfeld. Jeder Apparat, jede Software ist spezifisch konfiguriert und das Bewegtbild liefert daran angepasst einen Zugang zur Realität — das macht eine Zusammenarbeit von Technik und Design erforderlich. Qualitäten wie Interaktivität erfordern komplexe und neue Strategien des Erzählens. Mischformate wie Videomagazine und videobasierte Websites führen Bewegtbild und Text zusammen und verlangen den Erfahrungsaustausch der Designdisziplinen. Filme und Videos werden nicht mehr nur passiv rezipiert, es wird mit ihnen kommuniziert, gehandelt, gelernt, gespielt, sich orientiert, etc, sie sind verwoben mit dem alltäglichen Leben, sodass auch der gesellschaftlich-kulturelle Aspekt längst eine Dimension des Entwurfs geworden ist.

Für die Disziplin der audiovisuellen Medien gilt es, auch auf handwerklicher Ebene etwas zurückzugewinnen. Kompetenzen wie eine ruhige Kameraführung, Schnitttechniken und Abspanngestaltung, die früher für das Lehrgebiet wichtig waren, werden heute durch Softwaretools ersetzt und stehen als Instantprodukte für den Laien bereit. Auch hier gilt es, neue Bilder und Formen des Erzählens zu entwickeln, um die Sprache der Disziplin gegen den Strom vorgefertigter Medienprodukte zu erweitern.

In der heutigen Medienlandschaft reicht es nicht aus, Gestaltungskonventionen und Sehgewohnheiten auf neue Kontexte zu übertragen — jeder Kontext, jedes neue Medienformat ist speziell konfiguriert und eröffnet neue Möglichkeiten für das bewegte Bild. Diese können im interdisziplinären Dialog der gestalterischen, technischen und gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereiche verhandelt und entwickelt werden.

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Schnittstelle musik.bild.bewegung
Prof. Christian Geiger

Computerunterstützte Musik- und Tanzinterfaces — technische und gestalterische Expertise unterstützt künstlerischen Ausdruck

Musik und tänzerische Bewegung als ursprüngliche und jahrhundertealte Ausdrucksformen menschlichen Daseins gelten in unserer Kultur für viele Menschen als wichtiger Faktor der Lebensqualität. Will man die klangliche Mächtigkeit von Klangsynthesesystemen verwenden beziehungsweise bewegungsfokussierte Medientechnologien für künstlerischen Ausdruck nutzen, müssen die Benutzungsschnittstellen eine Offenheit für menschliches Verhalten bieten, welche die Breite, Tiefe und Qualität der Benutzereingaben adäquat in multimediale Darstellungsformen übertragen kann. Dies stellt den Entwickler und Gestalter medialer Inszenierungen vor Probleme, die oft aus anderen Bereichen der Mensch-Maschine-Interaktion in ähnlicher Form bekannt sind. Durch den hohen künstlerischen Anspruch der Beteiligten ergeben sich jedoch neue Herausforderungen, die es zu meistern gilt.

Computerunterstützte Musik- und Tanzinterfaces stellen in der Gestaltung und Realisierung hohe Anforderungen, da solche Ansätze meist sowohl mit den technischen und gestalterischen Qualitätskriterien von Computerspielen als auch mit denen traditioneller künstlerischer Ausdrucksformen assoziiert werden. Die zugrunde liegenden technischen Systeme bieten mittlerweile eine für den künstlerischen Ausdruck hinreichende Qualität, sodass die Benutzungsschnittstelle immer mehr in den Vordergrund rückt. Für die Entwicklung geeigneter Lösungen benötigt man umfangreiche Kenntnisse und Fähigkeiten, die typischerweise nicht in einer einzelnen Disziplin zu finden sind. Eine effektive und effiziente Zusammenarbeit der Bereiche Technik, Gestaltung und Musik/Tanz ist daher notwendig.

Im Rahmen der interdisziplinären Veranstaltungsreihe «Mediale Inszenierungen» arbeiten wir an der Fachhochschule Düsseldorf an neuen Mensch-Technik-Schnittstellen, die einen starken Bezug zu künstlerischen Inhalten aufweisen. Ziel ist es dabei stets, den geforderten künstlerischen Ausdruck durch technische und gestalterische Stilmittel optimal zu unterstützen. Das setzt Flexibilität, Kommunikationswillen und ein notwendiges Maß an Empathie voraus, da die Denkwelten von Medientechnikern, Gestaltern und Künstlern recht unterschiedlich sein können.

Die gemeinsam mit Anja Vormann durchgeführte Veranstaltung ermöglicht die Entwicklung aufwendiger Medieninstallationen über ein bis zwei Semester im Rahmen eines interdisziplinären Teams von Gestaltern und Technikern. Zu Beginn wird ein allgemeiner Themenbereich vorgestellt. Dabei präsentieren Teilnehmer die Ergebnisse der Arbeiten des letzten Semesters. Dies ermöglicht „Neueinsteigern“ einen ersten Eindruck der Anforderungen und Möglichkeiten dieser Form der Projektarbeit. Anschließend haben die Teilnehmer ein bis zwei Wochen Zeit, sich in Projektgruppen zu einem bestimmten eigenen Thema zusammenzufinden. Unterstützt wird diese Gruppenbildung durch unterschiedliche Kreativitätstechniken und Zwischenpräsentationen, bei denen Studierende Ideen zu oder Interessen an bestimmten Themen im Kurs vorstellen. Nach erfolgter Gruppenbildung und einer weiteren Konzeptionsphase wird das gefundene Thema wiederum im Kurs vorgestellt und kritisch, aber konstruktiv diskutiert. Im Laufe der Veranstaltung werden anschließend verschiedene Prototypen realisiert, die sich jeweils auf die verschiedenen relevanten Bereiche Technik, Gestaltung, Interaktion sowie anwenderspezifische Anforderungen fokussieren. Dabei ist es wichtig, dass sich einerseits die verschiedenen Disziplinen in den Teams möglichst gleichberechtigt mit ihren jeweiligen Kompetenzen in den Entwicklungsprozess einbringen können, andererseits aber der nutzerorientierte Fokus der Projekte erhalten bleibt. Ein wichtiges Ziel der Projekte ist stets, die medientechnische und mediengestalterische Unterstützung der Künstler aus einer kompetenten Dienstleistungsperspektive zu gewährleisten und neben der Entwicklung originärer Ansätze den Anforderungen der potenziellen Nutzer weitestgehend zu entsprechen.

In der Vergangenheit hat sich die Kommunikation in den interdisziplinären Projektgruppen und mit den Auftraggebern als mindestens gleichberechtigte Herausforderung neben den gestalterischen und technischen Anforderungen herausgestellt. Bereits früh versuchen die Betreuer des Seminars ein möglichst realistisches Umfeld der Projektarbeiten zu schaffen. Dies erfolgt zum einen in der frühzeitigen Kontaktaufnahme zu kooperierenden Institutionen wie dem tanzhaus nrw oder Künstlern, Musikern beziehungsweise Tänzern aus den Kontaktnetzwerken der Betreuer. So wurden die hier vorgestellten Projekte zum Beispiel auf dem Workshop «Innovative Computerbasierte Musikinterfaces» der Konferenz «Mensch und Computer» in Konstanz vorgestellt, dem «Temps d’images»-Festival des tanzhaus nrw und der «Researcher’s Night» in Düsseldorf.

Die bisherigen Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass die Kombination der unterschiedlichen Kompetenzen neue Ausdrucksformen möglich macht, die zum Teil sogar den hohen Ansprüchen der Künstler an professionelle mediale Unterstützung genügen. Der zusätzliche Aufwand bei der Projektbearbeitung durch die im späteren Berufsleben regelmäßig erfahrbaren Herausforderungen wie feste Terminstrukturen, dynamisch variierende Anforderungen während der Entwicklung und begrenzte Ressourcen wird durch die positive Resonanz der Auftraggeber und die Mitwirkung an anspruchsvollen künstlerischen Produktionen belohnt.

Dies ist für alle Beteiligten oft der Grund, ein Folgeprojekt im nächsten Semester zu belegen beziehungsweise die gemachten Erfahrungen und erworbenen Kenntnisse in ähnlichen Projekten einzusetzen.

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Kollaborationen
Vernetzte Künstler — vernetzte Institutionen

Henrike Kollmar

Anfang Januar 2013 veranstaltete das tanzhaus nrw in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Heine-Universität und der Fachhochschule Düsseldorf eine Tagung, die unter dem Titel «Kollaborationen» nach Modellen der Kommunikation und künstlerischen Strategien im Dialog von Choreografen und Medienkünstlern fragte. Im Rahmen von Vorträgen, Gesprächsrunden und Lectures wurden verschiedene Interaktionsformen zwischen Tanz- und Medienkunst und Kommunikationsstrukturen zwischen Tanz- und Medienkünstlern untersucht. Ein thematischer Schwerpunkt lag auf dem Verhältnis von Visualisierung und Verbalisierung in künstlerischen Arbeitsprozessen: ein spannendes und — wie sich im Laufe der Tagung herauskristallisierte — intensiv diskutiertes Thema im Spannungsfeld von individuellen Modellen und allgemeingültigen Strategien. Der Begriff des Labors steht in diesem Zusammenhang als assoziativer Anknüpfungspunkt eines veränderten Werk- und Arbeitsbegriffs, der sich seit einiger Zeit sowohl im Tanz als auch in anderen Kunstsparten herausgebildet hat und den prozessualen, dialogischen und vernetzten Charakter von kollaborativen Modellen der Kunstproduktion zwischen Künstlern umschreibt.

Im Rahmen dieser Tagung gab Frieder Weiss, Künstler und Spezialist für interaktive Computersysteme, Einblick in seine langjährige Arbeitspraxis im Austausch von Choreografie, Videokunst und interaktiven Computersystemen. Zahlreiche Studierende, unter anderem auch aus verschiedenen Studiengängen der FH Düsseldorf, saßen im Auditorium und wandten sich im anschließenden Gespräch an ihn persönlich. Frieder Weiss, der bahnbrechende Computerprogramme und interaktive Systeme wie «EyeCon» entwickelt hat, auf die sich eine nachkommende Generation von Software-Entwicklern, Mediendesignern und Künstlern immer noch bezieht und die weltweit in Bühneninszenierungen sowohl im Kunstkontext als auch im kommerziellen Bereich eingesetzt werden. Was war sein Fazit auf die Frage nach einer gelungenen Zusammenarbeit von Bühnenkünstlern, Medienkünstlern und kreativen Systementwicklern? Dass es für eine gelungene interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig sei, eine kommunikative Ebene zu finden, auf der sich die «in verschiedenen Sprachen beheimateten» Partner treffen können. Denn jeder Kunstkontext hat seine eigenen sprachlichen Codierungen, die im Prozess des interdisziplinären Austauschs nicht unbedingt automatisch miteinander korrelieren. In jeder Form von Kollaboration ist der Prozess der Annäherung und der Definierung eines gemeinsamen ästhetischen Raumes essenziell. Das geht nur über die Entwicklung von Vertrauen, die positive Umlenkung von scheinbar gescheiterten Versuchen und die Suche nach einer gemeinsamen visuellen oder verbalen Sprache, die sich an die Visionen aller am kreativen Prozess Beteiligten annähert.

Fast liest sich das wie ein Rezept nicht nur für eine gelungene Kollaboration zwischen Künstlern, sondern auch für eine gelungene Kooperation zwischen Institutionen. Auch wenn der Name des tanzhaus nrw in einer ersten Assoziation dazu führt, dass man ein Haus imaginiert, in dem «nur» und «ausschließlich» Tanz einen Platz findet, so sollte die Assoziationskette in eine andere Richtung geleitet werden: das tanzhaus als Gastgeber anderer Künste und als gastfreundlicher Ort für interdisziplinäre Projekte, als offene und vernetzte Struktur, die von einem erweiterten Tanzbegriff ausgeht, verschiedene Körperbilder und Kunstkonzepte vermitteln will und bewusst Überschreitungen hin zu anderen Kunstsparten und Institutionen sucht. Auch in der Vernetzung mit Institutionen, die sich in zahlreichen Kooperationen niederschlägt, gilt, was Frieder Weiss für kommunikative Modelle in der künstlerischen Kollaboration vorschlägt: Die Suche nach einer gemeinsamen Sprache, über die ein sich wechselseitig inspirierender Dialog entstehen kann, bildet die Basis jeglicher Kooperation.

Im Sommer 2012 waren über 20 Künstlerinnen und Künstler aus unterschiedlichen europäischen Ländern und verschiedenen künstlerischen Disziplinen wie Tanz, Videokunst, Theater, Literatur und Musik nach Düsseldorf eingeladen, sich im Rahmen eines Labors während zweier Wochen über Visionen, Politik, Projektideen oder Arbeitsmodelle auszutauschen. Das «Tryangle» genannte Netzwerkprojekt entstand aus der Zusammenarbeit von drei Theatern beziehungsweise Produktions- und Probenzentren in Portugal, Frankreich und Deutschland. Das tanzhaus nrw als deutscher Partner suchte für die Dokumentation des Projekts Kontakt zum Videobereich des Studiengangs Design der Fachhochschule Düsseldorf. Neben der europäischen Kooperation mit den drei beteiligten Partnern entstand somit ein weiteres, auf einer regionalen Ebene angelegtes Netzwerk. Studierende der FH Düsseldorf waren in die intensiven Prozesse nicht nur auf der dokumentarischen Ebene eingebunden, sondern traten in aktiven Austausch mit den Künstlern, aus dem sich Arbeitsbeziehungen auch über den Zeitraum des Labors hinaus entwickelten.

Auch wenn Kooperationen wie die zwischen dem tanzhaus nrw und dem Fachbereich Design der Fachhochschule Düsseldorf in erster Linie ihr Ziel darin haben, junge Künstler und Studierende, die an der Schwelle zur Professionalität stehen, zusammenzubringen, so bergen solche Formen der vernetzenden Zusammenarbeit auch viele Impulse für die Institutionen selbst. Aufbauend auf einer grundsätzlichen Neugierde auf die jeweils anderen Strukturen und auf die Menschen, mit denen man ein Austauschprojekt vorbereitet, kann eine fruchtbare und reinigende Wirkung eintreten, die kurzfristig die eigene Arbeitsroutine stört und hinterfragt und langfristig dazu führt, die eigenen Kommunikationsstrukturen zu überdenken und neue Impulse zu generieren.

Das Projekt «Tryangle» zeigt als exemplarische Vernetzung zwischen dem tanzhaus nrw und der Fachhochschule Düsseldorf, dass Kooperationen auf institutioneller Ebene zwar «politisch gewollt» sein können, aber letztendlich immer von einzelnen Kuratoren, Künstlern, Professoren und Dozenten abhängen, die miteinander in Kontakt treten, Projekte initiieren, Netzwerke initiieren, kollaborative Strukturen etablieren und dabei den Energieeinsatz nicht scheuen, nach einer gemeinsamen Sprache zu suchen.

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Kooperationen
tanzhaus nrw/Fachhochschule Düsseldorf

Prof. Anja Vormann

Das tanzhaus nrw definiert sich über die programmatische Verankerung eines «erweiterten Tanzbegriffs». Im Dialog der Kulturen und Kunstsparten sollen neue Formen des Ausdrucks gesucht werden — dabei interessiert vor allem eine Interaktion von Tanz und neuen Medien. Das tanzhaus nrw ist international vernetzt mit medial ausgerichteten Künstlern und Institutionen, über die «Temps d’images» auch mit dem Fernsehsender ARTE. Eine Kooperation ist aus Hochschulsicht interessant, weil Studierende eine professionelle Bühne zur Präsentation ihrer Arbeiten bekommen und zudem einen Einblick in interdisziplinäre und prozessorientierte Arbeitsstrukturen. «Tryangle« war das erste gemeinsame Projekt im Sommer 2012. 2013 folgten die «Chantiers» und die Ausstellung «Transforming Silence» im Rahmen des Festivals «Temps d’images». Jedes Format stellte unterschiedliche Anforderung und ermöglichte jeweils spezifische Einblicke in die Praxis.

«Tryangle, performing arts research laboratories»
Das Labor wurde mit einer zwölfköpfigen Studentengruppe realisiert, als Video- und Webdokumentation eines zweiwöchigen internationalen, EU-geförderten Workshops tryangle.eu. Internationale Künstler aus den Sparten Choreografie, Musikkomposition, Schauspiel, Video, Filmregie, Bühnendesign und bildende Kunst arbeiteten zusammen. Wichtiger als das Ergebnis war — wie es Claudia Galhós, in ihrem täglichen Blog über das Lab beschrieb: «Die Rolle von Künstlern in unserer heutigen Gesellschaft zu thematisieren. Mit der Art zu produzieren, zu arbeiten und kreative Prozesse zu durchlaufen, zu experimentieren, sie vielleicht sogar zu kritisieren...» Daily Chronicle. Tägliche Berichte in Form von Fotos, Videos und Texten waren Teil der Projektstruktur. Zusätzlich gaben wöchentlich eingeladene Spezialisten ein Feedback zu den Arbeitsprozessen. Die unterschiedlichen Dokumentationsformate gaben jeweils aus ihrer Perspektive den europäischen Tryangle-Partnern einen täglichen Einblick in die Aktionen vor Ort.

Der Begriff der Dokumentation wurde im Tryangle-Labor auf allen Ebenen stark diskutiert. Dokumentiert wurde nicht hierarchisch, rückblickend aus einer Perspektive, sondern multiperspektivisch, mehr beobachtend als wertend. Dokumentation war hier komplex und offen, Ausgangspunkt für Diskussionen, Revisionspunkt zur Umstrukturierung von Prozessen. Welche Position wird in der Dokumentation eingenommen? Stört oder verändert sie den Prozess? Es wurde viel in der Gruppe — aber auch in Auseinandersetzung mit den beteiligten Künstlern und Institutionen — diskutiert.

«Chantiers»
Die «Chantiers» wurden vom tanzhaus nrw als Format entwickelt, um einen Raum für die Begegnung unterschiedlicher Kunstsparten zu schaffen. Sie sind Baustellen für forschungsorientiertes Arbeiten. 2011 fand das erste «Chantier» in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Düsseldorf statt.

Die japanische Choreografin Yoshie Shibahara arbeitete gemeinsam mit den Studenten Tobias Daemgen und Moritz Ellerich, auch bekannt als Raumzeitpiraten. Unter dem Arbeitstitel «wurzelvegetationspunkt — kalyptra» entwickelten sie eine audiovisuelle Rauminstallation, in der Klang, Bild und Körper in einen Dialog treten.

Die Produktion zweier weiterer Stücke begann im Sommer 2012. In interdisziplinären Seminaren von Medientechnikern, -informatikern und Designstudenten wurden unter der gemeinsamen Leitung mit Prof. Christian Geiger Konzepte für interaktive Bühnenszenarien und mediale Inszenierungen erarbeitet. Im Januar 2013 wurde auf Vermittlung des tanzhaus nrw eine interaktive Life-Performance mit dem ehemaligen Pina-Bausch-Tänzer und Choreografen Fabien Prioville, dem Musiker HAUSCHKA und den Studierenden Michael Kutz, Martin Kutz, Felix Hofschulte und Sandra Ehlen umgesetzt. Eine zweite interaktive Inszenierung, die sich mit der Relation von Tänzer und Schatten auseinandersetzte, entstand in Zusammenarbeit des Tänzers und Choreografen Paolo Fossa, der Tänzerin Giada Scuderi und der Studierenden Magdalena Bohn, Jennifer Stark, Tobias Hoffmann, Jochen Feitsch, Stefan Meyer, Christian Mortsiefer und Daniel Seeger.

In der medialen Begleitung der Bühnenstücke konnten die Studierenden komplexes, fachübergreifendes Arbeiten kennenlernen. Durch die individuellen Wünsche und starke Umsetzungskraft der Künstler wurden die Studenten zusätzlich motiviert und gefordert. In der Produktion interaktiver medialer Inszenierungen werden Parameter des Raums, der Zeit, der Gestenerkennung, des Sounds und des Bildes in ihrem Verhältnis zueinander gewichtet und transformiert. Dabei bewerten alle Beteiligten jeweils aus ihrer Disziplin heraus Ideen und Ergebnisse.

«Temps d’images»
Das Festival für Tanz- und Medienkunst «Temps d’images» wurde 2002 von dem Fernsehsender ARTE und dem Kunst- und Kulturzentrum LA FERME DU BUISSON, Scène Nationale de Marne-la-Vallée, gegründet. Ziel war es, interdisziplinäres Arbeiten und Forschen in Form von internationalen Koproduktionen zu fördern. Mittlerweile findet das Festival in zehn Ländern — Belgien, Estland, Frankreich, Deutschland, Italien, Portugal, Polen, Rumänien, Ungarn und der Türkei — statt. Die deutsche Dependance ist das tanzhaus nrw.

Im Rahmen des Festivals wurde im Januar 2013 die Ausstellung «Transforming Silence» gemeinsam mit dem Medienkünstler Gunnar Friel realisiert. Ausgestellt wurden Texte, Bücher, Fotos, Videoarbeiten und Installationen von Studierenden aus dem Bereich Video und Hypermedia, in denen die Beziehungen von Ton und Bild synästhetisch, mathematisch, analog, assoziativ, interaktiv manipulierbar waren. Sie thematisierten die Sensibilität des Materials und die Kraft gestalterischer Gewichtung. Die Ausstellungsgestaltung übernahmen Nadine Nebel, Benjamin Nast, Thomas Quack, Clemens Müller und Edi Winarni — Studierende des Fachs Exhibition Design.

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Zeit der Bilder
Zeitgenössischer Tanz & Medienkunst im tanzhaus nrw

Stefan Schwarz

Bereits seit seinen Anfängen ist der zeitgenössische Tanz offen für Kollaborationen mit anderen Kunstformen. Choreografen arbeiten nicht nur mit bildenden Künstlern, Musikern und Theaterleuten zusammen, sondern suchen über die Zusammenarbeit mit Medienkünstlern nach neuen visuellen Dimensionen und nach kontextuellen Verschiebungen von Körperbildern.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Programmplanung des tanzhaus nrw seit seiner Eröffnung 1998 in der Präsentation von Gastspielen, Tanzinstallationen und Bühnenproduktionen in Zusammenarbeit von Choreografen und Medienkünstlern. Es entstanden langfristig angelegte Projekte, die sich an der Schnittstelle von Tanz, Performance, Medienkunst und künstlerischer Forschung bewegten. Im Rahmen des jährlichen Festivals «Temps d’images» bündelte sich seit dem Jahr 2005 diese Entwicklung programmatisch. Seitdem stellten über 100 Künstlerinnen und Künstler, darunter junge Talente und international erfahrene Künstler, interdisziplinäre Projekte zwischen Tanzinstallation, experimentellen Videotanz-Projekten oder interaktiven Choreografien vor. In Kooperation mit zehn europäischen Partner-Institutionen, einschließlich des Kultursenders ARTE, wurden zahlreiche Gastspiele bereits bestehender Stücke, Uraufführungen neuer Projekte und Medienkunst-Ausstellungen einem interessierten und wachsenden Publikum in Düsseldorf vorgestellt.

Kompanien wie die australische Gruppe «Chunky Move» von Gideon Obarzanek, die mit innovativer Medientechnologie unter anderem von Frieder Weiss arbeitet, und Künstler wie der Japaner Hiroaki Umeda, der mit zugleich überwältigenden und minimalistischen Projektionen in Verbindung mit einem von Streetdance-Elementen inspirierten Tanzstil überzeugte, waren im Rahmen von «Temps d’images» zu Gast. International bekannte Choreografinnen wie die Kanadierin Ginette Laurin mit der Gruppe «O Vertigo» oder Projekte wie die Zusammenarbeit des Medienkollektivs «Granular Synthesis» mit dem französischen Choreografen Angelin Preljocaj zeigten bereits auf der Bühne des tanzhaus nrw beeindruckende visuelle Inszenierungen. Künstler wie der Wiener Bildhauer Jan Machacek hinterfragten in subversiven Performances das Verhältnis von Medientechnologien und medial geprägter Wahrnehmung, Gruppen wie «Me and the Machine» aus Großbritannien schufen eine poetische, künstlerische Reflexion über das Verhältnis von visueller und taktiler Körpererfahrung durch den Einsatz von immersiver Technologie.

Im Rahmen des Festivalkonzepts «Temps d’images» werden Künstler aus unterschiedlichen Disziplinen zu «Chantiers» — intensiven künstlerischen Begegnungen — eingeladen. Dieser Austausch und an Forschung orientierte Prozess wird während des Festivals bei informellen Präsentationen für ein interessiertes Publikum geöffnet, ohne dass dabei «fertige» Stücke erwartet werden. In diesem Kontext entstand eine inspirierende Zusammenarbeit zwischen der Fachhochschule Düsseldorf und dem tanzhaus nrw.

Studierende aus den Studiengängen Design und Medien unter der Leitung von Prof. Anja Vormann und Prof. Christian Geiger arbeiteten im Dezember 2012 und Januar 2013 gemeinsam mit Choreografen, die über das tanzhaus nrw für die Kooperation empfohlen wurden, an interaktiven Bühnenperformances. Der ehemalige Pina-Bausch-Tänzer Fabien Prioville entwickelte in Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer Musiker HAUSCHKA und den Studierenden eine interaktive Live-Performance mit den künstlerischen Parametern von Tanzbewegung, Sound und Videoprojektionen.

Unter dem Titel «Transition» arbeitete eine Gruppe von Studierenden mit dem Düsseldorfer Choreografen Paolo Fossa und der Tänzerin Giada Scuderi an einer inhaltlich ausgerichteten Inszenierung von transitorischen Prozessen, angelehnt an das Fünf-Phasen-Modell der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross. Hier stand die Verbindung von computergenerierten Visualisierungen mit choreografischen Elementen im Vordergrund.

Der Forschungscharakter steht auch in Kooperationen mit anderen Institutionen, wie etwa dem Institut für Kultur und Medien der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, im Vordergrund: Seit 2006 finden regelmäßig gemeinsame Tagungen zu medientheoretischen Fragestellungen statt. In Kooperation mit der Kunsthochschule für Medien Köln präsentierten bereits unter anderem Studierende und Absolventen Medieninstallationen in den Studios und im Foyer des tanzhaus nrw. Im Rahmen der Festivalausgabe 2013 von «Temps d’images» entstand eine Ausstellung mit Medienarbeiten, kuratiert von Anja Vormann und Gunnar Friel, die inhaltlich und konzeptuell in überzeugender Weise mit der Programmatik des Festivals korrespondierte und zu einer Öffnung des Hauses für neue Zuschauergruppen aus dem Umfeld von Design und Medienkunst führte.

Bereits im Jahr 2012 war durch die Initiative von Prof. Anja Vormann ein ambitioniertes Kooperationsprojekt zwischen der Fachhochschule Düsseldorf und dem tanzhaus nrw entstanden. Im Rahmen des interdisziplinären Künstlerlabors Tryangle kamen mehr als 20 Künstler aus verschiedenen Ländern Europas und aus unterschiedlichen Kunstdisziplinen wie Film, Theater, Tanz, Architektur und bildender Kunst zusammen, um sich über künstlerische Fragestellungen und Produktionsstrukturen auszutauschen. Ein engagiertes Medienteam, das sich aus Studierenden des Fachbereichs Design unter der Leitung von Anja Vormann zusammensetzte, dokumentierte den Arbeitsprozess über Fotografien und Videofilme, die zeitnah auf der Website des von der Europäischen Union geförderten Projektes veröffentlicht wurden. Im Rahmen des zweiwöchigen Künstlerlabors entstand eine lebendige Kommunikation zwischen den beteiligten Künstlern und den Studenten, die unter anderem in weiterführende Kontakte mündete.

Das Projekt «Tryangle» und die verschiedenen Kooperationen stehen modellhaft für die im zeitgenössischen Tanz etablierten Arbeitsformen der Kunstproduktion. Denn längst haben sich nicht nur die Genregrenzen, die Kunst als Medien- oder Tanzkunst definieren, aufgelöst, sondern im Rahmen von kooperativen Arbeitskonzepten verschieben sich auch Abgrenzungen und gängige Definitionen von Funktionszuschreibungen.

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Transforming Silence
Stv. Prof. Gunnar Friel

Ausstellung im tanzhaus nrw: »Temps d'images« – es gibt die Videos, die Klänge, die Geräusche, Fotos, die Projektoren, Laptops, Lautsprecher und Kopfhörer, Festplatten und Kabel. Wie stellen wir das hier aus? Wir stehen vor Fensterscheiben, hinter Fensterscheiben, eigentlich auf einer Bühne. Wir gehen durch den Raum – oben auf der Empore bei den Lampen, die Wände berühren, der Raumplan am Boden, hocken wir drum rum, vertikal, horizontal. Die Achsen verschränken sich, der Raum ist Volumen. Die Lichtstrahlen sichtbar. Wie zeigen wir etwas, ohne viel zu bauen, mit dem was da ist, was sowieso schon existiert – dem Ganzen nichts Neues hinzufügen, sondern mit dem Bestehenden arbeiten, rearrangieren, wiederverwerten, transformieren. Material, Bilder, schwarzer Vorhang. Wir suchen in Archiven, in Suchmaschinen, in Depots, in Regalen, in Ablagen, in Speichern … im Keller des Tanzhauses, hinter und unter der Bühne, dort kommen die Materialien her. Bodenplatten, Stühle, Scheinwerfer. Es könnten die Reste vom Abend zuvor sein, die noch nicht abgebaut sind. Spuren von der letzten Vorstellung. Es sind die Reste vom letzten Abend. Niemand weiß das.

Christoph Schäfer, Initiator des Park Fiction Projektes in Hamburg erwähnt immer wieder Henri Lefebvre und seine sozialen Theorien. Bei Park Fiction ging es seit Mitte der 90er Jahre um die Gestaltung von öffentlichem Raum, Wunschproduktion als Gestaltungsziel, keine Endgültigkeit, Flächen, Treffpunkte, Stadtteil leben. »Nach Henri Lefevre ist Raum nicht da, um von etwas erfüllt zu werden, sondern er wird produziert, beziehungsweise entsteht durch Relationen und Verbindungen aus unterschiedlichen Handlungen und Empfindungen. Demnach existiert »Raum« nicht fest stehend, sondern konstituiert sich immer wieder neu im Prozess seiner Veränderung.«
(Andrea Benze, Kunstforum Bd. 218, 2012, Der urbane Blick; Henri Lefebvre, La production de l’espace, Editions Anthropos, 1974

Unser gesellschaftliches Interesse gilt zunehmend sozialen Themen, digitalen Vernetzungen und partizipativen Prozessen. Es geht weniger um die Produktion von realen Objekten als um die gemeinsame Entwicklung von Abläufen, Erlebnissen und Handlungen. Raum konstituiert sich heute stärker durch die in ihm stattfindenden Prozesse als durch seine architektonische Beschaffenheit. Gleichzeitig legen wir über unsere »materielle« eine digitale „immaterielle“ Welt und beschäftigen uns zunehmend mit dem Austausch und dem Verhältnis dieser beiden Welten. Das Internet als globales Kommunikationsnetz verbindet uns drahtlos und unsichtbar. Wir senden Magnetwellen, untersuchen unsere Körper tomografisch, zeichnen Wärmebilder auf, nutzen ultraviolette Strahlung und Radioaktivität. Der Wandel von Materie beschäftigt uns so gesehen täglich im Umgang mit den Geräten und Materialien, die diese Strahlen und Wellen versenden und empfangen, speichern und weiterleiten.

Eine historische, medienarchäologische Untersuchung dieser Maschinen und Apparate ist die Grundlage für das Verständnis unserer digitalen, mikroelektronischen Kultur. Gleichzeitig gibt es auf gesellschaftlicher Ebene neue Möglichkeiten der Vernetzung. Wir können uns in medialen Räumen treffen, wir nutzen Wolken als Speicher und wir könnten global denken und lokal handeln. Hat die zunehmende Bedeutung von immateriellen Phänomenen eine Auswirkung auf unsere Vorstellung von Gesellschaft? Gibt es – und wenn ja: was ist – digitale Materialität? Digitalität ist das Ergebnis von wissenschaftlicher Forschung und damit eine Daseinsform, die auf Relationen beruht und Materie explizit ausschließt. Trotzdem oder gerade deswegen scheint sie uns einen neuen Zugang zu Bildern und Materie und assoziativen Verknüpfungen zu ermöglichen. Oder ist gerade dies eine Täuschung? An welchen Stellen und durch welche Mittel verbindet sich die digitale Struktur mit der materiellen Welt?

Diese Fragestellungen zur Materialität, Medialität und zu Formen des Transformierens haben wir in den Mittelpunkt der Ausstellung »Transforming Silence« gestellt. Vor diesem Hintergrund positioniert sich das Thema der Ausstellung, nämlich die Erscheinung von Sound und Musik und deren Wechselwirkung mit Bildern und Objekten. Hier zeigt sich in doppelter Hinsicht eine Auflösung von »Sichtbarkeit«. Zum einen die Unsichtbarkeit von Klang und Musik schlechthin und zum anderen deren »Immaterialität« als digitale Datei.

Die zur Herstellung von Sichtbarkeit nötigen Prozesse entstehen auf unterschiedlichen Wegen und erschöpfen sich nie in der reinen Transformation. Wenn Lisa Spielmann in ihrer Gesangsperformance Mietzahlungsaufforderungsschreiben ihres Vermieters einsingt und dann in einem rechnerischen Permutationsverfahren zu einer Art digitaler Soundstruktur verformt, dann sind ihr persönlicher Bezug zu den Briefen und ihre Stimme als Sängerin die entscheidenden Komponenten im Wechselspiel mit den mathematischen, technischen Strukturen. Edi D. Winarni zeigt in der Rückführung der Beuys’schen Performance »Ja, ja, ja, ja, ja. Ne, ne, ne, ne, ne.« in die Notenschrift die Verwandlung von »Fluxus« und Aktion in ein klassisches, traditionelles Notenheft auf einem Notenständer. Eine Aufforderung zum Gesang, zur Interaktion oder ein stilles Lesen der Noten und Blättern der Seiten. Im Rückbezug auf das künstlerische Werk, das sich durch seinen rein performativen Charakter auszeichnet, entsteht ein Objekt, das scheinbar in einem reinen Materialisierungsvorgang die ursprüngliche Aktion verwandelt und in ihrem Sinn modifiziert, indem es sie reproduzierbar und aufführbar macht.

Ein gegenläufiger Vorgang im Sinne einer Dematerialisierung findet sich in den projizierten Soundteppichen von Somi Jung. Die Koreanerin spielt in einem meditativ inspirierten Verfahren mit ihrer E-Gitarre die Muster von orientalischen Teppichen ein. In der digitalen Darstellung der Tonspuren im Schnittprogramm wird der Teppich sichtbar und sein Muster hörbar. Es entsteht eine akustische Form der Webtechnik, die an die frühen Stücke von Steve Reich erinnert und zugleich die Form des Videos ad absurdum führt, da sich in der Projektion nur eine feine Cursorlinie bewegt, die kontinuierlich die aktuelle Position auf der Zeitachse markiert. Fast alle Videos zeichnen sich durch minimale Verschiebungen, präzise Setzungen und klare Strukturen aus, die trotzdem unerklärlich und offen bleiben, indem sie Wahrnehmungsschleifen oder -oszillationen anregen oder Persönliches grundlegend einbeziehen. Eines der wenigen Objekte in der Ausstellung ist Christina Karababas »Hand Glove«, der an ein filmisches Requisit aus einem Splatterfilm erinnert. Es handelt sich um die Darstellung der Luftverwirbelung an einer behaarten Hand. Die Situation wurde in einem 3-D-Programm simuliert und die Daten wurden als 3-D-Druck in einem gummiartigen Material zweifarbig ausgegeben. Die Visualisierung der eigentlich unsichtbaren Strömungen wirkt in Kombination mit der hyperrealen Plastizität eigenartig unheimlich. Die Oberfläche steht gläsern, wachsartig im Kontrast zu den schwarz gummierten Haaren. Der wissenschaftliche Kontext dient Karababa als Inspiration für ihr Objekt, das in einer Glasvitrine gleichermaßen realistisch wie fantastisch die Hand eines Außerirdischen oder eines Menschenaffen sein könnte.

Auf einem weiteren Sockel befindet sich ein Laptop, auf dem ein Soundarchiv abrufbar ist. Es handelt sich um aufgezeichnete Geräusche, die bei bestimmten Figuren zu hören sind, die mit dem Skateboard gefahren und gesprungen werden. Gregor Flöther, Thomas Quack und Christopher Schmidt haben hier ein Werkzeug geschaffen, mit dem der Benutzer eigene Klangkompositionen aus diesen einzelnen Geräuschen erstellen kann. Gleichzeitig gibt es eine Liste, auf der die Namen aller Figuren verzeichnet sind. Das eigentlich einfache Prinzip der unregelmäßigen Überlagerung der Soundloops erweist sich hier als gerade in seiner Minimalität spannende Schichtung von Quietschen, Rollen, Klacken und Surren. Man spürt das Zurücklegen von Strecke, die Geschwindigkeit, das abrupte Stoppen und Drehen, den Bodenbelag und das Gummi der Rollen. Die konsequente Ordnung offenbart an dieser Stelle einen unerwarteten Klangraum. Sonja Kohl zeigt ihr abstraktes Video zur Musik der Gruppe Stabil Elite. Rhythmisch und schnell, schwarz, weiß und grau thematisiert es den Bildschirm, flackert und pulsiert, wird zu konkreter Geometrie und verlässt dann die Oberfläche in den Raum als weißes Licht, als Impuls für Bewegung. Ton, LE D, Luft. Es ist gut, weil es stimmt, präzise im Takt und im Wechsel vom Immateriellen zum Materiellen und trotzdem immer digital. Bei der Vorbereitung haben wir von medialen Aggregatzuständen gesprochen, digitaler Materialität. Es ist wie ein Geräusch, das die digitale Struktur den verschiedenen Materialien einschreibt, wenn sie auf sie trifft.